24.05.2016

Projekt Eagleclaw Kapitel 36: Das Endspiel


Wintus stellt sich Eagleclaw...


Eine halbe Stunde vor der Sonnenfinsternis erschien ich mit einem Portzauber auf dem Turm. Eagleclaw stand am Rand und blickte noch immer zum Mond hinauf. Ohne sich umzudrehen sprach er das aus, was in seinen Augen wohl eine angemessene Begrüßung war: "Du bist spät! Ich fürchtete schon, du hättest Wichtigeres zu tun." "Nichts ist mir wichtiger, als einem Freund zu helfen!", sagte ich ehrlich. Der Fürst von Dormina glaubte meinen Worten scheinbar nicht, denn er fragte direkt: "Bist du gekommen, um mich zu töten?" Ich hatte geplant, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, was auch immer dazu nötig wäre, doch sowie er die Frage stellte wusste ich, dass ich ihn nicht töten könnte, selbst wenn ich ihn im Kampf besiegen würde. Aber diesen Vorteil wollte ich ihm nicht sofort zusprechen, darum antwortete ich einfach: "Nur wenn es unbedingt nötig ist."
Es folgte eine Stille, denn Eagleclaw durchschaute meine Lüge. Da ich keine Zeit für Schweigen hatte, beeilte ich mich, anzubieten: "Wir müssen keine Feinde sein, Eagleclaw. Der große Schatten wird seinen Teil der Abmachung sicher nicht einhalten, was auch immer er dir versprochen hat. Ich kann dir und jenen, für die du dich einsetzt, ein besseres Leben ermöglichen!" "Du benutzt deine Macht und deinen Einfluss, um deine Probleme zu lösen, nicht deinen Verstand.", entgegnete er mit einer winzigen Spur von Empörung. Endlich drehte er sich um und sah mich mit einem durchdringenden Blick an. "Du magst gute Absichten gehabt haben, als du deine Macht aufgebaut hast, aber jede Art von Macht verändert uns..." Bei diesen Worten trat etwas in Eagleclaws Gesichtausdruck, von dem ich nie erwartet hätte, es dort zu finden: "Du hast Angst." Er brauchte einen Moment, um seine Antwort zurechtzulegen: "Ich weiß, dass es stimmt, was ich sage; dass es stimmt, was ich schon seit meiner Flucht vorm König Dorminas vermute. Ich weiß es, weil ich es gerade jetzt spüre. Die Macht der Kristalle ruft nach mir. Sie will, dass ich sie einsetze, immer und immer wieder. Ich habe keine Zeit, ich fühle, wie meine Widerstandskraft schwindet."
"Lass mich dir helfen.", versuchte ich es noch einmal. Er schmunzelte gutmütig: "Wenn ich auch nur den geringsten Glauben daran hätte, dass du mir helfen kannst, würde ich es dich versuchen lassen. Aber es wird nie aufhören, wenn ich das nicht selbst durchstehe." Ich nickte. Er hatte Recht, doch seine Lösungsidee konnte ich trotzdem nicht gutheißen. "Das ewige Dunkel wird dich eher zusammen mit dieser Welt vernichten, als dass es aus der Gesellschaft macht, was du willst.", wiederholte ich. "Das muss es auch gar nicht.", korrigierte Eagleclaw. "Sobald es mir das gegeben hat, was mir versprochen wurde, kümmere ich mich selbst darum, und verhindere gleichzeitig, dass es irgendwelche dauerhaften Schäden anrichtet." Mit diesem Satz schaffte er es, mich kurzzeitig zu verwirren: "Was kann es dir geben, was du mit der Macht der Kristalle nicht selbst bekommen kannst?" Jedoch wurde mir die Antwort klar, sobald ich die Frage laut ausgesprochen hatte, deshalb löste ich das Rätsel selbst auf: "Du willst von ihm die Macht, in der Zeit zu reisen, ist es nicht so?" Tatsächlich war Macht über die Zeit die einzige Kraft, welche der Kristallschmied nicht in physische Form bringen konnte.
"Ich werde zur Schlacht am heulenden Berg zurückreisen und ihren Ausgang so ändern, dass perfekte Voraussetzungen für eine Gesellschaft geebnet werden, in der jene die größte Entscheidungsgewalt haben, die ihr Leben lang leiden mussten. Es werden jene führen, die das Leid der Lebewesen kennen und mit aller Kraft dafür sorgen werden, dass es niemandem mehr widerfahren muss.", erklärte Eagleclaw. Erst jetzt wurde mir sein wahres Motiv klar, erst jetzt entdeckte ich die Selbstsucht, die Lukas sofort herausgehört hatte, erst jetzt wurde mir mein gigantischer Irrtum bewusst. Leute mit solchen Zielen konnte man nicht umstimmen... "Du willst zur Schlacht am heulenden Berg zurückreisen, um zu verhindern, dass Ethera dich verrät.", konkretisierte ich seine Erläuterung. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte die Stille ihren Ursprung darin, dass Eagleclaw keine Antwort einfiel; ich hatte ins Schwarze getroffen. "Das ist Wahnsinn! Warum sollte das ewige Dunkel dir die Möglichkeit geben, seine Übernahme rückgängig zu machen?", versuchte ich ein letztes Mal, zu ihm durchzudringen. "Ich habe keine andere Wahl, als auf seine Unachtsamkeit zu setzen.", meinte mein Gegenüber.
Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. Ich hatte meine Zeit verschwendet! Er war vollkommen auf die Lüge des Schattens hereingefallen, geblendet von der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und der Hoffnung darauf, seine grausame Vergangenheit zu ändern. Genau das warf ich ihm nun vor: "Dann ist Eagleclaw also doch gestorben. Hingerichtet von einem größeren Monster, als Dorminas König es war; ausgelöscht von einer blinden Bestie, angetrieben nur durch ihren lächerlichen, verbrecherischen Ehrgeiz!" "Versuche mich nicht.", warnte der Fürst, wobei seine Bewegungen danach aussahen, als würde er sich mit seinem ganzen Willen zu beherrschen versuchen, um nicht die Messerfächer zu ziehen, letztendlich aber doch versagen. "Lass dich nicht versuchen.", rief ich wütend, und zog meinen Zauberstab. Im gleichen Atemzug feuerte ich einen Schleuderfluch auf ihn ab. Er versuchte, den Zauber mit einem seiner Fächer abzulenken, war jedoch nicht schnell genug, so wurden statt ihm selbst die Federn fortgeschleudert und fielen vom Turm in die unsagbare Tiefe. Eagleclaw gab es jetzt auf, sich zu beherrschen. Es gab kein zurück mehr...

Ein Beitrag von Justin(23)

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