07.07.2016

Projekt Eagleclaw Kapitel 41: Etheras letzter Auftritt


Eagleclaw muss sich seiner größten Angst stellen.


Eagleclaw sah von einem Abhang auf eine weite Fläche herab. Früher war an dieser Stelle ein gigantisches Kornfeld der Menschen gewesen, doch jetzt war es nur noch Ödland, wie jeder andere Fleck der Erde. Er hatte sich wieder die Alchimagen-Robe übergezogen, weil ihn auf einmal eine übermäßige Kälte überkam. Bis auf gelegentliche Schreie verlorener Seelen und das grausige Gegröhle der Urschatten war nichts zu hören. Hin und wieder stimmten die Monster auch zu einer Freudenhymne an:

"Ewig wurden sie bekriegt,
heute haben wir gesiegt.
Freunde, Ritter meiner Schar,
Der Tag des Triumphs ist da!

Hebt die Gläser, reicht das Bier,
ab sofort regieren wir.
Menschen, kniet, als wär's 'ne Kunst;
Diese Welt gehört jetzt uns!"

Aber der Fürst von Dormina hatte kein Ohr für sie. Er überlegte, was er nun tun könnte. Sich gegen die Urschatten zu erheben erachtete er als Selbstmord, jedoch war ihm bewusst, dass er nicht so lange leben würde, wie die Monster feiern wollten. "Sieh dich an. Du tobst und schreist, um den Schatten zu erreichen, der deine Ziele darstellt, und doch bist du weiter denn je davon entfernt. Mehr als deine Hand ist jetzt aus Metall. Du bist wie ein blinder Maler, wie ein tauber Komponist. Du erinnerst dich noch, wo deine Kraft ist, aber die Kraft, die du verwendest, ist nur eine Erinnerung. Wenn du fertig bist, ist um dich herum nur noch leerer Boden, und wenn dieser Boden unter dir bricht, hast du gar nichts. Am Ende kannst du den Schatten nicht berühren. Am Ende willst du es gar nicht mehr!" Zuerst hielt Eagleclaw diese Worte für eine Ansprache seines Gewissens, allerdings war es eine andere Gestalt, die ihm das vorwarf. Er drehte sich um. Sie stand etwa fünf Meter von ihm entfernt; sie stand einfach nur da.
Eagleclaw konnte es nicht fassen. Die Person war so groß wie er, sah ähnlich aus wie ein Mensch, nur komplett in schwarz, hatte sechs lange Tentakel am Rücken und statt Haaren große Igelstacheln. "Ethera?", fragte Mascrow ungläubig. "Was hast du nur angerichtet, Bruder?", fragte dieser nur. Einen Moment lang rang Eagleclaw mit den Worten, dann beschuldigte er ihn: "Das ist deine Schuld! Es wäre nie so weit gekommen, wenn du mich... uns nicht verraten hättest." "Du hast es also immer noch nicht verstanden.", Ethera schüttelte betrübt den Kopf. Mascrow zog seine Fächer und ging auf ihn los, doch Ethera war schon verschwunden, bevor er ausgeholt hatte. Er stand jetzt hinter Eagleclaw, welcher das sofort bemerkte und sich kraftvoll nach hinten warf, um ihn wegzustoßen. Allerdings war er wieder zu langsam, und ohne etwas, das ihn abfangen konnte, fiel er nach hinten... und über den Rand der Klippe.
Im letzten Moment griff Ethera seinen Arm. Wie er da so am Abgrund baumelte, bemerkte Mascrow zum ersten Mal die Unförmigkeit seines alten Freundes; er wirkte, als wäre er ein Geist, doch offensichtlich war er fleischlich, sonst hätte er ihn nicht halten können. "Was ist mit dir passiert?", fragte Eagleclaw verwirrt. Wenn er nicht gestorben war, was hatte er dann durchgemacht? Erst zog die originale 'Ultimative Lebensform' ihn hoch, dann kam endlich die Antwort: "Ich habe mich entschieden, diese Welt zu verlassen, und nun will sie mich nicht zurücklassen. Meine Zeit auf dieser Erde ist vorbei, genau wie deine!" "Also bist du hier, um mich zu töten?", wollte der Fürst wissen. Ihm war klar, dass dies nicht der Fall war, sonst hätte er ihn nicht gerettet, aber er konnte sich keinen anderen Reim auf diese Worte machen. "Ich bin lediglich gekommen, um dir den Weg zu weisen. Nur, weil man ein Zimmer für immer verlässt, heißt das nicht, dass man es nicht aufräumen muss!", erklärte die Schattengestalt.
"Spar dir deine Weisheiten! Ich kann den Schatten nicht besiegen, das weißt du genau.", behauptete Mascrow, eher von sich selbst enttäuscht als vorwurfsvoll gegenüber des ehemaligen Schattenkönigs. Dieser jedoch schlug etwas anderes vor: "Du allein kannst es nicht. Aber es gibt jene, die noch frei sind; jene, die kämpfen wollen! Zusammen könnt ihr etwas erreichen..." "Warum machst du es nicht?", fragte Eagleclaw plötzlich. Und noch plötzlicher stieß der Angesprochene ihn nieder. "Willst du es nicht begreifen? Ich werde zurückgezogen in die hinterste Ecke der Bannwelt, wo die Zeit noch nicht angefangen hat und der Raum noch nicht entstanden ist. Meine letzten Minuten in dieser Welt nutze ich, um dir die Augen zu öffnen, und noch immer überträgst du deinen eigenen Egoismus auf mich." "Ich dachte nicht, dass...", sagte der Fürst leise. Ethera ließ ihn nicht zu Ende sprechen: "Was ich getan habe, geschah einzig zum Wohl der Menschheit. Ich opferte mich, um ihnen zu helfen! Hast du sie in den Untergang geführt, um dich an mir zu rächen?"
Eagleclaw richtete sich auf und widmete seinem Bruder einen eiskalten Blick: "Ja, genau darum. Du hast mich im Stich gelassen, als ich dich am dringensten brauchte. Du hast alles getan, um der Menschheit zu helfen, und dabei die magischen Wesen dem Tod überlassen. Ich sah es als meine Pflicht an, denen zu helfen, die du übergingst!" "Und jetzt brauchen sie dich.", stellte Ethera fest. Dieser einfache Satz öffnete Mascrow die Augen. Er hatte vorher daran gedacht, wie er die Situation wenden könnte, um doch noch an die ihm vom Oberbösen versprochene Kraft zu kommen, mit der er uns hätte helfen können, doch jetzt erkannte er, dass es wichtiger war, denen zu helfen, die nun unter seinen Fehlentscheidungen litten. Sonst würde er nur wiederholen, was er als den Fehler des Dunklen Königs ansah... "Weißt du jetzt, was du zu tun hast?", hackte Ethera nach. Sein Gegenüber nickte mit entschlossenem Blick. Als Eagleclaw blinzelte, war sein alter Freund verschwunden. "Danke, Nighty.", flüsterte Mascrow, und eilte in den letzten unversehrten Teil des Lebenswaldes, auf der Suche nach dem Portal zum Ende der Welt.

Ein Beitrag von Justin(23)

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